Natur

Wie unser Wald dran glauben muss

Der Interkommunale Windpark Böblingen / Holzgerlingen / Ehningen soll in einem Waldgebiet am südwestlichen Stadtrand Böblingens oberhalb des Wohngebietes Diezenhalde errichtet werden.

Eine dankenswerterweise vom Forum Energiedialog auf seiner Internetseite veröffentlichte Luftaufnahme
(https://www.energiedialog-bw.de/projekt/boeblingen-und-holzgerlingen/)
zeigt den bis jetzt intakten Laubwald links der Bundesstraße 464: Der Blick geht aus von der Wildbrücke über die B464, streicht im Mittelgrund an den vom linken Bildrand hereinreichenden Maurener Ackerflächen vorbei, führt weiter bis vor die Tore der Gemeinde Ehningen und dort zum rechten Bildrand in Richtung B464. Nach Meinung der Städte Böblingen und Holzgerlingen ist dieser Wald es wert, durch Windindustriebauten zergliedert zu werden. Bereits bei Bau der B464 wurde das Naherholungsgebiet empfindlich reduziert.

Es handelt sich — neben den für Zwecke der US-Armee in weiten Teilen bereits abgeholzten oder für die Öffentlichkeit unpassierbar gemachten Waldflächen östlich der Stadt — um DAS Naherholungsgebiet Böblingens, das Natur erlebbar macht.

Der unter dem Namen BB-14 geführte Diezenhalder Wald „liegt größtenteils im Erholungswald sowie teilweise im Klimaschutz- und Bodenschutzwald“, heißt es im Umweltsteckbrief des Regionalverbandes Stuttgart: Durch den Windparkbau „sind erhebliche Beeinträchtigungen der Waldfunktionen nicht auszuschließen. Beeinträchtigungen der Erholungsfunktion sind durch die Planung anzunehmen.“

Weitere drohende Auswirkungen einer industriellen Überformung des Waldgebietes haben wir in unserer Stellungnahme an den Regionalverband dargelegt.

Andere Kommunen handeln verantwortungsvoller Mensch und Natur gegenüber. Die Stadt Sindelfingen hat sich mit den in ihrem Stadtwald geplanten Windkraft-Vorranggebieten beschäftigt und sieht in einer Vorlage an den Gemeinderat eine Beeinträchtigung dieser Waldfunktionen:
(Link zu Funktionen Sindelfinger Wald)
Mehr dazu unter Kommune.

Ein Waldspaziergang ist für den Menschen viel mehr als nur reine Entspannung, stellt „Der Spiegel“ fest und nennt positive Auswirkungen auf Herz, Immunsystem und Psyche.

Naturschutzverband sieht Rot

Der Arbeitskreis Böblingen des Landesnaturschutzverbandes Baden-Württemberg (LNV) hat eine Stellungnahme zu den geplanten Windkraft-Vorranggebieten im Kreis Böblingen aus Sicht des Naturschutzes erstellt. Für das Gebiet BB-14 (Diezenhalder Wald) sieht er Rot: „Keine Zustimmung, schwere Bedenken“.
(Link zur LNV-Stellungnahme)

Und hier die gemeinsame Stellungnahme der Umweltverbände LNV, NABU und BUND zu den geplanten Windkraft-Vorranggebieten im Kreis Böblingen:
(gemeinsame Stellungnahme)

Die Initiative Lebenswertes Böblingen meint:
Der Bau von riesigen Windkraftanlagen im Stadtrandwald stellt eine Beeinträchtigung für Mensch und Natur dar, die unserer Auffassung nach unverhältnismäßig ist im Vergleich zum gewonnenen Ertrag an elektrischer Energie.

Folgen des Kraftwerkbaus im Wald

Das Heidelberger UPI Umwelt- und Prognose-Institut hat in einem Dokument „Windkraftwerke im Wald“ (https://upi-institut.de/UPI88.pdf (10 MB)) zusammengestellt, welche Folgen der Bau von Windparks in solch einer Natur hat: Abholzungen für Wegebau auf 7 m Breite, 40-60 cm tiefe Ausschotterung für Schwertransporter, Geländenivellierungen, Rodungen für die Standfläche von 8.000 – 10.000 qm Größe je Windrad. Das hat Folgen für das Mikroklima, für die Pflanzen- und Tierwelt.
Für windkraftsensible Greifvögel und Fledermäuse, aber auch viele Insekten stellen die sich drehenden Rotoren eine besondere Gefahr dar, die viele das Leben kostet.
Das UPI-Dokument beschreibt ebenfalls die zahlreichen Änderungen, welche die Bundesregierung im Naturschutzgesetz vorgenommen hat, um diese Beschädigungen von Flora und Fauna zu erlauben.

Die Naturschutzinitiative e.V. (NI) betrachtet die Windindustrieanlagen in unseren Wäldern aus ganzheitlicher Sicht. In ihrer Broschüre fordert der Naturschutzverein „Ökosystem Wald schützen – Lebensräume erhalten!“
(Broschüre „Keine Windenergie im Wald!“ (6 MB))

Dass im Genehmigungsverfahren für den Bau einer Windkraftanlage keine Umweltverträglichkeitsprüfung mehr durchgeführt wird und damit ein wichtiges Instrument zur Bewahrung der Natur abgeschafft wurde, haben wir auf der Seite „Genehmigungsverfahren“ diskutiert.

Filme zum Thema

Spiegel-TV hat einen Film zum Thema produziert (12 Minuten):
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/wenn-windraeder-baeume-verdraengen-fuer-den-wald-ist-es-eine-katastrophe-spiegel-tv-a-20732808-4e4c-4219-89a8-29b8d4854d68

Einen Eindruck über die nötigen Rodungen und Erdbewegungen bei Errichtung eines Windparks im Wald bietet dieser Film von Rudolf Ersepke (Windpark Mannstein bei Olsberg, Sauerland, 6 Minuten)
https://www.youtube.com/watch?v=kt64paj6kwc

Vogelschlag – Beispiel Rotmilan

Rotmilan, Foto: Thomas Kraft

„Man muss von über 100.000 von Windkraftanlagen pro Jahr getöteten Vögeln ausgehen, darunter etwa 12.000 Mäusebussarde und 1.500 Rotmilane“, schreibt der Naturschutzbund Nabu und sieht „bereits heute bestandswirksame Auswirkungen“. In Deutschland brüten etwa 10.000 bis 14.000 Rotmilan-Paare, was mehr als die Hälfte des Weltbestandes ausmacht. Da sind jährlich 1.500 von Windrädern erschlagene Exemplare kritisch für den Arterhalt. Und mit dem Ausbau der Windenergie werden es mehr werden.
(Hintergrundwissen stellt der Nabu hier bereit)

In Baden-Württemberg allein sind 4.500 Brutpaare zu finden. Die Landesanstalt für Umwelt meldet für diese „besonders und streng geschützte Art“: „Im Verhältnis zu seinem Gesamtbestand gehört der Rotmilan nachweislich zu den überproportional häufigsten Schlagopfern an WEA.“ Und: „Bei Windkraftplanungen ist deshalb regelmäßig mit artenschutz­rechtlichen Konflikten in Bezug auf den Rotmilan zu rechnen.“ Für den Diezenhalder Wald BB-14 notiert der Nabu: „Im Gebiet Brutvorkommen von Rotmilan und Schwarzspecht.“ Die Besorgtheit der Naturschützer ist verständlich.

Das von der EU finanzierte Forschungsprojekt Life Eurokite stattet europaweit Rotmilane, hauptsächlich Jungvögel, mit GPS-Sendern aus um ihren Lebensraum und ihre Sterblichkeit zu erforschen. Die Presse berichtet, dass erste Ergebnisse auf Basis von 426 analysierten Tieren als Haupttodesursachen Fressfeinde, Vergiftung und Kollisionen im Straßenverkehr nennen. Windrad-Zusammenstöße hingegen seien nachrangig. Der Nabu erklärt dazu, diese Aussagen würden auf unwissenschaftlicher Interpretation vorläufiger Daten basieren. Sie seien nicht auf Deutschland übertragbar, z.B. sei der Vergiftungstod hier seltener. Dies sehen auch die Eurokite-Experten selbst so. Biologen der Universität Marburg veröffentlichen Zahlen, nach denen in Deutschland 16 % der Rotmilan an Windrädern verenden, ebenso viele im Straßenverkehr, und durch Fressfeinde und Vergiftungen je 14 %.

Eine Datenbank der Staatlichen Vogelschutzwarte Brandenburg zählt bislang 750 erschlagene Rotmilane in Deutschland (Stand 09.08.2023) und beschreibt das Mortalitätsrisiko an Windkraftanlagen als „hoch“. Gemeldet werden nur Zufallsfunde. Eine sytematische Erfassung der Windkraftopfer ist nicht möglich, da der Fuchs meist schneller ist. Schon seit längerem weist der Dachverband Deutscher Avifaunisten DDA auf einen negativen Zusammenhang von Windrad-Dichte und Rotmilan-Bestandstrend hin: „Je mehr Windräder, desto schlechter die Bestandsentwicklung.“

Nachdem der Rotmilan-Bestand über viele Jahre abgenommen hat, ist die Entwicklung derzeit stabil, so dass die „Rote Liste“-Einstufung der Art 2021 von „potentiell gefährdet“ auf „ungefährdet“ verändert wurde. Eurokite erwartet allerdings, dass die Population langfristig weiter abnimmt. Der Windkraft-Ausbau wird dazu beitragen.

Auf der Seite „Schutzsysteme“ erörtern wir, was der von den Windkraftanlagen-Herstellern angebotene Antikollisionsschutz für Vögel und Fledermäuse leistet.

Naturschutzgesetz schützt nicht mehr

Wissenschaftlich anerkannte Abstandsempfehlungen von Windrädern zu Brutplätzen windkraftsensibler Vögel sind in dem sogenannten Helgoländer Papier verzeichnet. Sie gelten als das „grundsätzlich gebotene Minimum zum Erhalt der biologischen Vielfalt.“ Das Papier sieht zum Beispiel für Rotmilane einen Mindestschutzabstand des Mastfußes zum Nest von 1.500 m vor, der bei Bau einer Windkraftanlage nicht unterschritten werden darf.

Mit der Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes von 2022 wurde diese Richtlinie weitgehend ausgehebelt. Von 37 genannten schützenswerten Vogelarten blieben nur 15 übrig. Für den Rotmilan wurde politisch festgelegt, dass lediglich für Brutplätze im Umkreis von 500 m um die Windkraftanlage ein signifikant erhöhtes Tötungs- und Verletzungsrisiko besteht. Für größere Abstände sieht das Gesetz lediglich „Anhaltspunkte“ für solche Risiken, die wegdiskutiert werden können. Der Windradbetreiber ist nicht verpflichtet, die Umgebung seines Bauplatzes nach Brutplätzen abzusuchen. Es gilt, was die Genehmigungsbehörde in ihrem Vogelkataster verzeichnet findet (oder auch nicht). Angeordnete Abschaltmaßnahmen zum Schutz z.B. gefährdeter Vogel- oder Fledermausarten gelten jetzt als unzumutbar, wenn sie den Jahresenergieertrag um mehr als 6 % verringern (bei besonders ertragreichen Anlagen 8 %). Bei einer Anlage mit 1.800 Volllaststunden im Jahr darf damit im Mittel ein Abschaltung von höchstens 18 Volllast-Betriebsminuten pro Tag angeordnet werden.

Übrigens verbietet das Naturschutzgesetz das Anbringen von Nisthilfen für kollisionsgefährdete Vogel- und Fledermausarten in den ausgewiesenen Windkraft-Vorranggebieten. Auch dann, wenn dort kein Windrad steht. Manche gute Tat von Naturschützern wird illegal, sollte der Diezenhalder Wald BB-14 weiter auf der Liste der Windkraftgebiete verbleiben.

„Angesichts der Klimakrise und des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine besteht eine doppelte Dringlichkeit, für einen zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien und dabei insbesondere auch der Windenergie an Land zu sorgen“, so lautet die amtliche Begründung für diese Einschnitte in den Naturschutz. Dazu gelte es, die entsprechenden Planungs- und Genehmigungsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen.

Unsere Einschätzung: Anstatt die biologische Vielfalt der uns umgebenden Natur zu erhalten, wird sie im Vereinfachungs- und Beschleunigungswahn empfindlich beschädigt.

Auf der Seite „Genehmigungsverfahren“ zeigen wir Ihnen, wie die Bundesregierung dabei ist, die artenschutzrechtliche Prüfung bei Bau von Windkraftanlagen insgesamt abzuschaffen.

Bundesgesetz widerspricht EU-Naturschutzrecht

Der Naturschutzbund Nabu kommentiert: „Die beschlossenen Änderungen im Bundesnaturschutzgesetz schwächen Naturschutz und Energiewende gleichzeitig. (…) Es fehlen fachliche Begründungen für die deutlich reduzierten Abstände, die nicht den wissenschaftlichen Standard des Helgoländer Papiers berücksichtigen. Zusätzlich widerspricht eine ausschließliche Berücksichtigung der Arten auf der Liste dem europäischen Naturschutzrecht.“ Der Nabu kritisiert, „dass der Tod des einzelnen Tieres in Kauf genommen wird“.

Das Naturschutzrecht der EU basiert auf dem Schutz des einzelnen Individuums, während das deutsche so umgestellt wurde, dass lediglich der Populationsschutz betrachtet wird. Mit Genugtuung erklärt die Task-Force Erneuerbare Energien der Baden-Württembergischen Landesregierung: „Im Bundesnaturschutzgesetz ist es ausdrücklich vorgesehen, dass einzelne Tiere von geschützten Arten in bestimmten Ausnahmefällen getötet werden dürfen auch wenn das normalerweise wegen des Schutzstatus verboten wäre.“

Des Klimaretters Traum. Mögliche Windkraft-Standorte rund um Böblingen / Sindelfingen basierend auf dem Potenzialatlas der Landesregierung von 2019. Im Vordergrund das Gebiet BB-14 zwischen Böblingen-Diezenhalde und Mauren. Die zur Errichtung der Anlagen nötigen Waldrodungsflächen für Stellplatz und Zuweg sind nicht dargestellt. (Visualisierung Google Earth Hansjörg Jung, http://thinkaero.de/tag/sindelfingen)

Die Initiative Lebenswertes Böblingen
setzt sich für den Erhalt des Waldes
und unser aller Lebensqualität ein.
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