Umweltverträglichkeitsprüfung abgeschafft
Dieses Portal der Landesregierung stellt die Anforderungen zusammen, die an die Errichtung von Windkraftanlagen gestellt werden.
„Beschleunigung von Genehmigungsverfahren bei Windkraftanlagen“ ist das erklärte Ziel der Bundesregierung. Die Lösung ist simpel: Abschaffung aller Prüfungen, die Zeit kosten. Deshalb beschäftigen wir uns hier mit dem, was das Landratsamt im Genehmigungsverfahren nicht mehr interessiert.
Im März 2023 wurde per neu erfundenem § 6 des Windenergieflächenbedarfgesetzes (WindBG) die bis dahin notwendige Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) sowie die artenschutzrechtliche Prüfung (ASP) beim Bau von Windkraftanlagen weitgehend abgeschafft. Das freut den Stromproduzenten, der im Genehmigungsverfahren „von einer Beschleunigung um mindestens ein Jahr“ profitiert und obendrein Gutachterkosten spart. Nicht so erfreut dürfte die Natur sein.
Die Regelung gilt bei Windkraft-Vorranggebieten, sofern eine „Strategische Umweltprüfung“ (SUP) durchgeführt wurde — siehe „Umwelt-Steckbriefe“. Die Qualität dieses formalen Verfahrens darf nicht überprüft werden. Die Befristung bis 23.06.2024 im Gesetz ist obsolet, denn die zugrundeliegende EU-Notfallverordnung wurde im Dezember 2023 bis zunächst Juni 2025 verlängert und soll über die Erneuerbare-Energien-Richtlinie RED III von Oktober 2023, die noch in nationales Recht umgesetzt werden muss, verstetigt werden.
Entscheidung nach Aktenlage
Die Genehmigungsbehörde erhebt keine Felddaten mehr in der Naturlandschaft, um zum Beispiel „kollisionsgefährdete Brutvögel“ festzustellen, sondern entscheidet nach Aktenlage (die nur selten mit der Wirklichkeit übereinstimmt) und darf nur „verhältnismäßige Minderungsmaßnahmen“ anordnen. Davon kann sich der Kraftwerksbetreiber durch eine jährliche Zahlung freikaufen, die beim Vestas 7,2 MW-Kraftwerk zwischen 3.240 und 22.000 Euro liegt – das ist die Lizenz zum Rotmilan-Schreddern.
Was nicht mehr geprüft werden soll:
Zur Umweltverträglichkeitsprüfung gehört die Ermittlung von Auswirkungen auf die Schutzgüter:
- Menschen, insbesondere die menschliche Gesundheit,
- Tiere, Pflanzen und die biologische Vielfalt,
- Fläche, Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft,
- kulturelles Erbe und sonstige Sachgüter sowie
- die Wechselwirkung zwischen diesen.
Zum „Schutzgut Mensch“ listet der Umweltbericht des Regionalverbandes diese Umweltziele:
- Schutz und Entwicklung der natürlichen Lebensgrundlagen,
- Schutz der Allgemeinheit vor Lärm/ Schall,
- Berücksichtigung der Anforderungen an Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten,
- Vermeidung der Verlärmung von Wohngebieten und störungsempfindlicher Erholungsräume,
- Vermeidung der Beeinträchtigung der Wohn- und Wohnumfeldfunktion durch störende visuelle Einwirkungen (Schattenwurf, Rotorbewegung).
Mögliche Beeinträchtigungen auf diesen Feldern sollen also im Rahmen einer UVP nicht mehr erhoben werden – selbst dann nicht, wenn der Betreiber es möchte. Zulässig ist der Bau von Windkraftanlagen auch dann, wenn erhebliche Umweltauswirkungen zu erwarten sind. Beispiel Umwelt-Steckbrief für das Waldstück BB-14: Erhebliche Beeinträchtigungen der Waldfunktionen (als Klimaschutz- und Bodenschutzwald) und für windkraftsensible Vogelarten seien nicht auszuschließen und für die Landschaftsbildqualität anzunehmen, heißt es dort. Ein von der Naturschutzinitiative (NI) in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten ergab, dass eine solche Handhabe mit Europarecht nicht vereinbar ist.
Biodiversität gefährdet — Bundesrechnungshof rügt
Auch der Bundesrechnungshof – ein unabhängiges Bundesorgan zur Kontrolle der Regierung – kritisiert, es würden „zahlreiche Erkenntnisse zu negativen Umweltwirkungen erneuerbarer Energien“ vorliegen, darunter „die Beeinträchtigung der Biodiversität“. Die Bundesregierung müsse „auch direkte Wirkungen des Ausbaus der erneuerbaren Energien auf andere Schutzgüter als den Klimaschutz hinreichend berücksichtigen.“ Weiter stellen die Konrolleure fest: „Im Zuge der Energiekrise wurden umweltschutzrechtliche Verfahrensstandards abgesenkt“, und fordern: Ein „Monitoringsystem ist notwendig, damit die Bundesregierung unerwünschte Wirkungen der Energiewende auf einzelne Schutzgüter frühzeitig erkennen“ kann — was sie offensichtlich nicht will.
Der Naturschutzbund Nabu sieht es ähnlich: „Neben Klimaschutz muss auch der Naturschutz zum vorrangigen öffentlichen Interesse erklärt werden. Einseitiger Vorrang für Klimaschutz schwächt den Naturschutz! Der Schutz von Natur und Landschaft darf nicht einseitig abgeschwächt werden.“ Wissenschaftler der Deutschen Fledermauswarte haben (am Beispiel Fledermausschutz) ausgearbeitet, welche naturschutzrechliche Möglichkeiten durch die Verfahrensbeschleunigungsgesetze gestrichen wurden. „Das Ergebnis zeigt, dass die aktuellen Änderungen keine gute artenschutzfachliche Praxis zulassen.“
Seltsam: Wurde die Energiewende nicht begonnen, um Natur und Biodiversität zu erhalten?
Stadt Böblingen — Hier wird Sand in die Augen gestreut
Trotz des zusammengestrichenen Prüfungskatalogs der Genehmigungsbehörde schreibt die Stadt Böblingen wider besseren Wissens in ihrem Amtsblatt: „Im Genehmigungsverfahren werden die Auswirkungen von Schall, Schatten sowie Landschaft und Natur genau untersucht, um sicherzustellen, dass keine unzumutbaren Beeinträchtigungen entstehen.“ Schön wär’s. Nicht nur der Rotmilan wird das Prüfungsdefizit bemerken.
Verkürzung des Rechtsweges
Der Verfahrensbeschleunigungswahn setzt sich fort in der Straffung der Rechtswege. Im Jahr 2020 wurden Bundesgesetze geändert, damit Widerspruchs- und Klageverfahren gegen die Genehmigung von Windkraftanlagen keine aufschiebende Wirkung mehr haben. Damit darf schon vor Abschluss der Rechtsverfahren mit dem Bau begonnen werden. Ebenso wurde der Instanzenweg verkürzt. Statt das Verwaltungsgericht ist der Verwaltungsgerichtshof (bislang Berufungsinstanz) erstinstanzlich zuständig.
2022 wurde in Baden-Württemberg das Widerspruchsverfahren gegen Windkraft-Genehmigungen ganz gestrichen. Dies sei „zwingende Notwendigkeit“ für die Erreichung der Klimaneutralitätsziele. Es bleibt einzig die Klagemöglichkeit vor dem Verwaltungsgerichtshof. An diesem wurde ein „Spezialsenat“ eingerichtet, der in Windkraftangelegenheiten rasch aburteilen sollen. Personalkosten für die neuen Richterstellen: 600.000 Euro jährlich.
Für die Bürger bedeutet diese Verkürzung des Rechtswegs teuren Anwaltszwang und Wegfall einer Berufungsmöglichkeit.
Durchmarsch für Windkraft
Ins Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) wurde hinengeschrieben, Errichtung und Betrieb von Windrädern „liegen im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit“. Dieses Postulat sorgt dafür, dass bei der Abwägung von Schutzgütern in zahlreichen Bereichen regelmäßig die privatnützige Gewinnerzielungsabsicht des Windkraftbetreibers gewinnt. Nur „Belange der Landes- und Bündnisverteidigung“ haben noch Vorrang. Beeinträchtigungen durch Lärmemissionen oder Belange des Naturschutzes stehen hintenan.
Andere Grundstückseigentümer haben gegen geringes Entgelt den Zuwegebau für Errichtung und Rückbau von Windkraftanlagen sowie das Verlegen von Stromleitungen auf ihrem Grundstück zu dulden.