Windkraftanlagen machen Lärm
Für das im Böblinger Stadtrandwald wahrscheinlichste Windrad-Modell Vestas V172 (siehe Technik) gibt der Hersteller ein Betriebsgeräusch von 106,9 dB(A) an, was etwa der Lautstärke eines Presslufthammers entspricht. Waldbesucher werden das bemerken. (Zum Vergleich: Das Fahrgeräusch eines Motorrades darf 77 dB(A) nicht überschreiten.)
Was von den Geräuschen bei den Anwohnern im angrenzenden Wohngebiet ankommt, können wir nicht sagen. Das hängt von der Entfernung zum Turm ab, von der herrschenden Windstärke und Windrichtung (Sie kennen den Effekt, dass Sie an manchen Tagen das Kirchengeläut oder das Rauschen der entfernten Straße laut wahrnehmen, an anderen Tagen aber gar nicht) und von der Bebauung im Umfeld. Nachbargebäude können wie eine Lärmschutzwand wirken, aber auch schallverstärkend reflektieren. Die Riesenräder, wie sie im Böblinger Wald stehen sollen, sind lauter als herkömmliche und erfahren durch ihre Höhe weniger Bodendämpfung, reichen mit ihrem Schall also weiter. Der vom Regionalverband eingeplante Mindestabstand zur Wohnbebauung von 800 m reduziert sich um eine Flügellänge auf 715 m Effektivabstand, da die Masten mit überhängenden Rotoren eng an der Gebietsgrenze stehen dürfen. Da der Wind in der Hälfte der Zeit aus Westen kommt, können wir für die Wohngebiete Diezenhalde / Grund keine Entwarnung geben.
Grenzwerte der TA Lärm
Was wir sagen können ist, welche Lautstärke Sie erdulden müssen. Das sind im allgemeinen Wohngebiet nach den Richtlinien der TA Lärm tagsüber 55 dB(A) und nachts 40 dB(A), was etwa mäßig lauter Radiomusik tagsüber und leiser Radiomusik nachts entspricht. Erst wenn es lauter ist, haben Sie einen Anspruch auf Minderungsmaßnahmen. Wer in einer bislang ruhigen Wohnlage bei offenem Fenster schlafen will, dürfte auch dauernde leise Musikberieselung als störend empfinden. Übrigens: Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt, einen Grenzwert von 45 dB(A) nicht zu überschreiten.
Die gesetzlichen Lärmgrenzwerte sorgen nicht dafür, dass Ruhe im Dorf herrscht, sondern definieren politisch eine Lautstärke, die als zumutbar betrachtet werden soll. Aber diese Zumutbarkeitsschwelle empfindet jeder anders. Ein Beispiel liefert dieser Filmbeitrag des SRW (3 Minuten).
Die Genehmigungsbehörde (das ist das Landratsamt) wird vom Windanlagen-Betreiber ein Schallgutachten verlangen, welches das Einhalten der Grenzwerte der TA Lärm nachweisen muss. Das Amt beauftragt in der Regel keinen eigenen Gutachter, den bestellt der Windparkbauer. Das Gutachten wird nicht auf Grundlage von Messungen verfasst, sondern basiert auf mathematischen Modellannahmen. Dass dabei leicht etwas schief gehen kann, verdeutlichen diese Fernsehbeiträge des NDR aus Ostfriesland:
Bevölkerung sucht Lärmasyl im Rathaus (15 Minuten) und
Anwohner fordern Nachtabschaltung (11 Minuten).
Die Windkraftindustrie fordert die Änderung der Schallimmissionsmessungen um insbesondere die nächtlichen Schallabsenkungen zu verringern. Es ginge bislang „ein gewaltiges Potenzial an nachts zu erzeugendem Strom verloren.“
Übrigens: Für Infraschall ist das Schallgutachten „blind“. Hier gibt es keine Prognosemodelle und keine Grenzwerte, die die Emission einschränken könnten.
Lärmbelästigung ab 31 dB
36 mal in der Minute fährt ein Windradflügel der Vestas V172 am Mast vorbei, was ein Wusch-wusch-wusch-Geräusch erzeugt (in obigem Film zu hören). Das Umweltbundesamt (UBA) hat 2022 eine Studie „Geräuschwirkungen bei der Nutzung von Windenergie an Land“ veröffentlicht. Ergebnis: „In dieser Studie sind 10% der Personen bereits bei einem Beurteilungspegel von 31 dB(A) insgesamt durch WEA-Geräusche hoch belästigt.“ Und: „Sobald der Beurteilungspegel am Wohngebäude den Wert von ca. 35 dB(A) überschreitet, steigt der Anteil der belästigten bzw. hoch belästigten Personen stark an“, ab 45 dB(A) ist jede zweite Person hoch belästigt. Die von Windrädern ausgehenden Wusch-Geräusche werden als weit störender erlebt als gleich lauter Straßenlärm.
Das ficht die Bundesregierung nicht an. In Anwendung einer EU-Notfallverordnung wurde den Windkraftbetreibern erlaubt, den nächtlichen Schallpegel um 4 dB anzuheben, womit dann 44 dB(A) zur Schlafenszeit zu erdulden sind. Das liegt signifikant oberhalb der vom UBA festgestellten Belästigungsgrenze von 31 dB(A). Diese Ausnahmeregel galt zunächst bis 15.04.2023 und wurde dann bis 15.04.2024 verlängert, wegen dem „weiterhin anhaltenden Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine“. In Zeiten des Umbaus der Gesellschaft auf eine Kriegswirtschaft sind Schutzrechte für die Bevölkerung gefährdet.
Das Bild zeigt die Lautstärkeschwankungen eines Windkraftrades während einer Minute Laufzeit. In diesem Beispiel wird alle 1,2 Sekunden ein lautes „Wusch“ erzeugt – immer in dem Moment, in dem ein Rotorflügel am Mast vorbei streicht. Es ist dieses schnelle An- und Abschwellen der Lautstärke, welches die Windradgeräusche so unangenehm machen, störender als gleich lauter Straßenlärm. (Quelle: Umweltbundesamt)