Infraschall

Der nicht hörbare Lärm

Beim Schall kennen Sie hohe und tiefe Töne. Infraschall besteht aus so tiefen Tönen, dass unsere Ohren sie nicht mehr wahrnehmen können. Sie sind trotzdem da und können gemessen werden. Elefanten kommunizieren damit über viele Kilometer weit.

Die Natur erzeugt Infraschall (z. B. Gewitter, Meeresbrandung), es gibt ihn auch technisch verursacht von diverser Maschinerie. Windkraftanlagen produzieren ihn ebenfalls. Was wir im hörbaren Bereich als Wusch-wusch-Geräusch wahrnehmen, ist das Vorbeistreichen der Flügel am Mast. Es ist mit einem tiefen Infraschall verknüpft, der bei den Vestas V172-Modellen 0,6 Hz beträgt.

Infraschall-Spektrum aufgenommen in der Nähe eines Wohnhauses, 1.000 m von einer Windkraftanlage entfernt. Grün: mit Luftmikrofon, blau: mit Bodenmikrofon. Der Ausschlag bei 0,6 Hz rührt vom Mastdurchgang eines Rotorblattes her. Ähnlich wie die Obertöne eines Musikinstrumentes repliziert sich das Signal bei ganzzahligen Vielfachen der Grundfrequenz (sogenannte Harmonische). Quelle: Umweltbundesamt.

Lärm ist nicht gleich Lärm. Der Abendgesang einer Amsel in Ihrem Garten ist vielleicht deutlich lauter als das Rauschen der Bundesstraße, die Belästigungswirkung aber zeigt sich anders. Ähnlich ist es auch im Bereich des tieffrequenten und Infraschalls. Manche Menschen reagieren mit starken Befindlichkeitsstörungen auf diesen unhörbaren Lärm. Das Umweltbundesamt nennt nach Sichtung der wissenschaftlichen Literatur als mögliche Infraschallwirkung Probleme im Herz-/Kreislaufsystem, Konzentrationsschwäche, Gleichgewichtsstörungen. Dieser Lärm findet offensichtlich auf andere Weise als über das Gehör Zugang zum Körper.

Hier zwei Filme, die den Effekt beleuchten: (Bitte klicken Sie auf den Titel)
Eine Reportage des ZDF (28 Minuten)
Eine Untersuchung des „Spiegel“ (10 Minuten)

Der Windkraft-Lobbyverband WindEnergie behauptet, bei den festgestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen handele sich um einen Nocebo-Effekt. Wer meint, krank zu werden, wird auch krank. Wir denken, diese Erklärung greift zu kurz und sehen eher eine Ähnlichkeit zur Seekrankheit. Während der eine Passagier auf dem Ausflugsdampfer nach Helgoland bei mäßigem Seegang an der Reling steht und sich die Seele aus dem Leib spuckt, genießt der andere vergnügt seine Bratwurst. Alles nur eine Sache der Einbildung?

Ärzte fordern Aufklärung

Der Deutsche Ärztetag fordert seit 2015 von der Bundesregierung, „die Wissenslücken zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Infraschall und tieffrequentem Schall von Windenergieanlagen (WEA) durch wissenschaftliche Forschung zu schließen sowie offene Fragen im Bereich der Messmethoden zu klären und gegebenenfalls Regelwerke anzupassen.“ Bis heute hat sich nichts verbessert. 2019 heißt es in einem Artikel des Deutschen Ärzteblatts: „Was die Erforschung der Gesundheitsrisiken angeht, legen – nicht überraschend – gerade jene Länder wenig Ehrgeiz an den Tag, die zu den größten Windparkbetreibern weltweit gehören.

Fehlender Ehrgeiz des Umweltministeriums

Wir haben nachgeschaut, was das Umweltbundesamt (UBA) der Bundesregierung — quasi amtlich verpflichtet, die Bevölkerung vor negativen Auswirkungen zu schützen — in Sachen Infraschall unternimmt. Gefunden haben wir eine Studie aus dem Jahr 2020Lärmwirkungen von Infraschallimmissionen“. 44 Personen wurde in verschiedenen Messreihen jeweils 30 Minuten Infraschall ausgesetzt und dann befragt und medizinisch untersucht. Das Ergebnis überrascht uns nicht: Diese Kurzzeitbeschallungen würden keine körperliche Akutreaktion hervorrufen, können jedoch nahe der Hörschwelle belästigend wirken. Und weiter: „Es ist noch ungeklärt, ob körperliche Infraschallauswirkungen erst nach einer länger andauernden Exposition nachgewiesen werden können. Hierzu sind weiterführende – insbesondere epidemiologische – Untersuchungen erforderlich.“ – Ein Freibrief für Windräder mit ihrer Daueremission ist das nicht.

Die angesprochene epidemiologische Untersuchung würde eine umfassende Bevölkerungsbefragung im Umkreis von Windkraftanlagen bedeuten und könnte ermitteln, wie groß der Anteil derer ist, die die in den Eingangsfilmen gezeigten Beeinträchtigungen erleiden. Eine solche Erhebung ist wichtig und dringend notwendig. In einer Amtsmitteilung des UBA lesen wir: „Darüber hinaus wird derzeit in einem vorbereitenden Forschungsvorhaben ein Studiendesign für eine umweltepidemiologische Langzeitstudie in der Umgebung von Windenergieanlagen entwickelt, um mögliche bislang nicht bekannte Langzeiteffekte durch Infraschall zu identifizieren.“ Nach Jahren immer noch „vorbereitend“? Das zeugt nicht gerade von Ehrgeiz des Umweltministeriums.

Keine Norm – kein Grenzwert – kein Schutz

Besonders tragisch ist: Es gibt keine brauchbare Messlatte, mit der drohende Infraschallbelastung bestimmt werden kann. Die Norm DIN 45680 „Messung und Beurteilung tieffrequenter Geräuschimmissionen“ von 1997 ist für die Ermittlung von Schallbelästigungen, wie sie zum Beispiel von heutigen Wärmepumpen oder Windkraftanlagen ausgehen, nicht geeignet. Frequenzen unter 8 Hz und andere spezielle Schallerscheinungen werden einfach ignoriert, mit dem Ergebnis, dass „die erlebte Belästigung von Betroffenen nicht in Übereinstimmung steht mit den nach DIN 45680 (1997) empfohlenem Schutzniveau.“ Seit mehr als zehn Jahren diskutieren Experten eine Norm-Überarbeitung. Bis dahin gilt: Kein Grenzwert – kein Schutz.

Stadt Böblingen weiß es besser

Da hat es uns natürlich gefreut, dass die Stadt Böblingen Entwarnung geben kann. Unter „Ihre Stadt informiert“ verkündet sie im Amtsblatt vom 09.02.2024: „Bedenken, dass Infraschall von Windenergieanlagen zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen kann, konnten unlängst durch wissenschaftliche Studien widerlegt werden.“ Wir erkundigten uns, welches diese unlängst veröffentlichten Studien seien, die uns offensichtlich entgangen sind, und erhielten – nach mehrmaligem Nachfragen – drei Quellen für den Amtsblatt-Artikel genannt.

Die erste Studie ist eine Untersuchung „Infraschall und Windenergie“ der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe aus dem Jahr 2021. Sie untersucht, ob der von Windkraftanlagen ausgehende Infraschall ihre Messstationen zur Überwachung des internationalen Kernwaffenteststopps beeinträchtigt. Das ist der Fall: „Die Registrierung von Infraschall-Signalen von WEA an hochempfindlichen Mikrobarometern ist noch in mehreren 10er Kilometern Entfernung wissenschaftlich belegt.“ Dann wird eingeschränkt, die Messungen „lassen keine Rückschlüsse auf die Einwirkung von WEA-Infraschall auf Menschen zu.“ Diese hat die Wissenschaftler nicht interessiert – weder im positiven noch im negativen Sinn. Eine Widerlegung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen erkennen wir so nicht.

Die zweite Studie ist eine Untersuchungen des UmweltbundesamtsGeräuschentwicklung bei der Nutzung von Windenergie an Land“ aus dem Jahr 2022. Wir haben sie bereits auf der Seite „hörbarer Schall“ erwähnt. Sie beschreibt ausführlich die Lästigkeit des hörbaren Schalls der Windkraftanlagen, unternimmt im Infraschallbereich aber lediglich den Versuch, seine Existenz nachzuweisen – was gelang: „In allen Untersuchungsgebieten wurde durch Windenergieanlagen verursachter Infraschall festgestellt.“ Ferner wird vermerkt, dass dieser Infraschall unterhalb der Hörschwelle des Menschen liegt (was ja gerade das Wesen des Infra-schalls ausmacht). Auch in dieser Studie werden keinerlei Untersuchungen in Bezug auf Infraschall-verursachte Gesundheitsbeeinträchtigungen bei Menschen angestellt.

Die dritte Studie, die uns genannt wurde, ist keine Studie, sondern ein 2020 aktualisiertes Informationsblatt „Windenergie und Infraschall“ der Landesregierung. Über „gesundheitliche Effekte“ heißt es dort: „Laboruntersuchungen über Einwirkungen durch Infraschall weisen nach, dass hohe Intensitäten oberhalb der Wahrnehmungsschwelle ermüdend und konzentrationsmindernd wirken und die Leistungsfähigkeit beeinflussen können. (…) Die im Umfeld von Windkraftanlagen auftretenden Pegel tieffrequenten Schalls sind von solchen Wirkungseffekten aber weit entfernt. (…) Nach derzeitigem Stand des Wissens (sind) keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Infraschall von Windkraftanlagen zu erwarten.“ – Letzteres ist ein bloßes Postulat, eine wissenschaftliche Studie dazu wird nicht explizit genannt. Und „nicht zu erwarten“ heißt noch lange nicht „ist widerlegt“.

Auch nach scharfem Nachdenken können wir nicht erkennen, wie aus diesen Dokumenten der Schluss gezogen werden kann, gesundheitliche Beeinträchtigungen durch Infraschall seien widerlegt. Wir haben die Stadtverwaltung gebeten, uns den Kontakt mit den Autoren des Amtsblatt-Artikels zwecks Abklärung dieser Frage zu ermöglichen. Und warten seit dem auf Rückmeldung.

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