Die im Nebel sieht man nicht
Auf dieser Seite befassen wir uns mit den von den Kommunen Böblingen, Herrenberg und Ehningen vorgelegten Visualisierungen zum geplanten Windpark BB-14.
Das Vorspiel: Die maximale Transparenz
„Es sei den Kommunen aber wichtig, maximale Transparenz an den Tag zu legen“, zitiert die Kreiszeitung (25.09.24) den Böblinger Oberbürgermeister Dr. Belz in Sachen Windparkbau im Naherholungswald am Stadtrand.
Die Öffentlichkeit erlebt diese Transparenz so: Die Böblinger Gemeinderäte wurden gerade (20.09.24) in einem nichtöffentlichen Workshop von diversen energiewendebesorgten „Experten“ mit Themen wie „Windenergie in Süddeutschland“, Grundlagen der Windenergie“ und „Möglichkeiten der kommunalen Wertschöpfung und Beteiligungsformate“ auf rasche Weltenrettung durch Windradbau – ausgerechnet im für die Erholung wichtigen Stadtrandwald – eingeschworen. Wäre das nicht auch eine interessante Info-Veranstaltung für die Bevölkerung gewesen? „Fühlte sich an wie eine Werbeveranstaltung“, platzte es in der späteren öffentlichen GR-Sitzung einem Gemeinderatsmitglied heraus, das wohl werthaltige Informationen für eine gesicherte Entscheidungsfindung erwartet hatte. Der Oberbürgermeister entzog rasch das Wort und unterband mit dem Hinweis, es sei eine nichtöffentliche Sitzung gewesen, weitere Anmerkungen zu diesem Thema.
Parallel (23.09.24) brütet eine geheime Gemeinderats-„Vergabegruppe“ (die Namen der Mitglieder werden nicht genannt) in nichtöffentlicher Sitzung über die die Ergebnisse einer Ausschreibung, deren Details der Öffentlichkeit vorenthalten wurde, um einen geeigneten Windkraft-Projektier zu finden. War da was?
Nun, die Ankündigung von „maximaler Transparenz“ bezog sich auch nur auf das Veröffentlichen einer ersten Visualisierung für den Windpark BB-14. Bürgerschaft und Gemeinderäte hatten monatelang auf Bilder gedrängt, welche das zu erwartende Landschaftsbild mit den geplanten Windtürmen von verschiedenen Standorten aus aufzeigen. Einiges wurde jetzt tatsächlich geliefert, denn:
Endlich, endlich …
Am 24.09.24, endlich, haben sich die Kommunen Böblingen, Holzgelingen und Ehningen dazu durchgerungen, solche Windkraft-Visualisierungen in Form kleiner Videosequenzen vorzulegen. Stolz wurde extra zu einer Pressekonferenz geladen und die oben erwähnte „maximale Transparenz“ verkündet. Was uns besonders freut: Auch ein „amtlicher“ Blick vom Böblinger Wasserturm auf das Waldstück über der Diezenhalde ist darunter, was den Vergleich zu unserer bereits vor einem Jahr vorgelegten Visualisierungsarbeit gestattet. Ein „durchaus anderes visuelles Ergebnis“, stellt die Böblinger Kreiszeitung dazu (25.09.24) fest.
Zwei Unterschiede fallen auf. Erstens ist der Blick, den die Kommunen auf die potentiellen Windräder veröffentlichen, idyllisch durch Buschwerk im Vordergrund und Hausarchitektur im nahen Mittelgrund eingerahmt – der Stil überkommener Ansichtspostkarten lässt grüßen. Zweitens verbergen sich die eh schon dezent im Hintergrund stehenden Windräder, also die Objekte, um derentwillen die Arbeit erstellt wurde, in feinem Herbstdunst und verschmelzen fast mit dem grauen Himmel. Die Kreiszeitung (28.09.24) kommentiert: „Die möglichen Windkraftanlagen seien verniedlicht dargestellt, ist von mehreren Seiten zu hören. Sogar Befürwortern fällt dieser Unterschied sofort auf. Sie finden das ungeschickt. Gegner sehen sich bestätigt: Das Erscheinungsbild der Windkraftanlagen sei so erschreckend, dass man es beschönigen müsse.“
Gute fachliche Praxis
Was ist passiert? Die Visualisierungen wurden beim Dienstleistungsunternehmen Endura kommunal in Auftrag gegeben. Für solche Tätigkeiten gibt es die Richtlinie „Gute fachliche Praxis für die Visualisierung von Windenergieanlagen“, welche von der „Fachagentur Windenergie an Land“ erarbeitet wurde. Letztere ist eine von der Bundesregierung finanzierte Organisation zur Förderung des Klimaschutzes „vor dem Hintergrund der klima- und energiepolitischen Ziele des Bundes und der Länder“.
Eine der aufgelisteten Anforderung ist, die einmontierten Windräder in ihrem Aussehen je nach Wetter- und Lichtbedingungen an die umgebende Landschaft anzupassen. Diese wurde befolgt, weshalb die Anlagen korrekterweise im Dunst verschwinden. Allerdings warnt die Richtlinie in diesem Fall vor drohenden Wahrnehmungseinschränkungen: „Insofern sollten Aufnahmen bei Dunst generell vermieden werden.“ — „Grundvoraussetzung für die Wahrnehmbarkeit der WEA in der Landschaft ist ein ausreichend großer Kontrast zwischen WEA und Himmel bzw. Landschaft.“ Warum sich die Ersteller nicht daran gehalten haben, bleibt ihr Geheimnis. Den Windkraftverharmlosern kommt dies jedenfalls zupass.
Eine weitere Richtlinie lautet, die Aufnahmen mit einem sogenannten Normalobjektiv zu tätigen, damit die Fotos möglichst dem natürlichen Gesichtsfeld des Menschen entsprechen. Dies ist der Grund für die Postkartenidylle, die um das eigentliche Betrachtungsobjekt (Windpark) herum wiedergegeben wurde. Technisch gesprochen schreibt die Richtlinie die Verwendung einer 50 mm-Brennweite vor. Unsere kommunalen Visualisierer haben allerdings richtlinenwidrig eine 35 mm-Weitwinkellinse genommen. Dieser Trick bringt mehr Vordergrund ins Bild, verkleinert den Hintergrund und schiebt damit die Windräder weiter in die Ferne. Zum Vergleich: Unser fokussierter Blick entspricht einer 65 mm-Brennweite.
Dass die optische Wahrnehmung des Menschen mehr umfasst, als das simple Abfragen der Sinneszellen auf der Netzhaut, wissen die Richtlinienmacher auch. Zum einen nimmt die Schärfeleistung des Auges zum Rand des Gesichtsfeldes hin ab. „Mit einem Foto kann im Gegensatz zur Tiefenwahrnehmung nicht die periphere (unscharfe) Wahrnehmung des Menschen dargestellt werden.“ Und zum anderen: „Mit dem Auge werden äußere Reize aufgenommen und im Gehirn verarbeitet. Die subjektive Wahrnehmung wird abgeglichen mit bekannten Dingen, mit persönlichen Erfahrungen, mit Wünschen, Vorstellungen und Interpretationen von Dingen und ist folglich abhängig von einer individuellen Erwartungshaltung. So können auf die Netzhaut treffende Objekte nicht wahrgenommen werden, weil sie durch einen „psychischen Filter“ ausgeblendet werden. (…) Es gibt also keine „objektive“ Wahrnehmung, sondern nur eine individuelle.“
Was damit gemeint ist, erleben Sie vor dem Fernseher. Der um das TV-Gerät herum aufgebaute Wohnzimmerschrank wird, obwohl prominent im Gesichtsfeld, nicht wahrgenommen, weil Sie sich nur für den Krimi interessieren. Oder auf unseren Blick vom Wasserturm übertragen: Wer die Windräder als Beeinträchtigung des sonst ruhigen Landschaftsbildes auffasst – ihre Rotation erheischt große Aufmerksamkeit – konzentriert sich auf diese und sieht nicht den Busch im Vordergrund. Wer (psychisches Filter!) den Windpark als erfreuliches Mittel zur Erzeugung seines Bürgerbeteiligungsprofits auffasst, blendet ihn aus und kann sich an der Landschaft drumherum erfreuen. Es gibt keine einzig „richtige“ Darstellung! Sie haben die Wahl, welches Foto Ihre individuelle Erwartungshaltung am besten wiedergibt.
Professionelle Visualisierungsarbeit?
Weiteres fällt uns bei dem vorgelegten Video auf: Der dritte Endura-Windturm von links wurde auf die Höhen des im Bildhintergrund sichtbaren Schönbuchs montiert, anstatt in die davor liegende Senke des BB-14-Waldes. Ein professioneller Produzent von Windkraft-Visualisierungen weiß mit den Höhen- und Oberflächenmodellen seiner Software umzugehen, ihm sollte dieses nicht passieren. Weiter: Die Stellung der Rotorblätter ist streng synchron, alle Räder zeigen den Mastdurchlauf zum gleichen Zeitpunkt. Dies aber ist nach Auffassung der Fachagentur „ein äußerst unrealistisches Szenario“, welches in der Darstellung vermieden werden sollte.
Schließlich: Der Drehzahlbereich der Rotoren für die Stromerzeugung liegt bei der Vestas V172-Anlage nach Herstellerangaben zwischen 4,3 U/min und 12,1 U/min (Nennleistung). Bei niedrigeren Drehzahlen befindet sich die Anlage im sogenannten Trudelbetrieb und produziert keinen Strom. Wir messen in den Visualisierungsvideos gemächliche 4,0 Umdrehungen pro Minute. Ist dies das realistische Eingeständnis, dass das Windkraftgebiet BB-14 ein Schwachwindgebiet ist, welches kaum für Stromerzeugung geeignet ist? Oder will uns unser Oberbürgermeister trotz angekündigtem „Worstcase-Szenario“ die Visualisierung der Nenndrehzahl nicht zumuten, bewirkt sie beim Beobachter doch einen ungleich unruhigeren Landschaftseindruck? Wir zitieren den Landschaftsarchitekten Werner Nohl: „Die stetige Flügelbewegung übt eine magische Anziehungskraft auf das Auge aus, sie besitzt die Qualität eines „Blickfängers“, der dem Betrachter oftmals die Möglichkeit nimmt, sich anderen, attraktiven Landschaftszusammenhängen zuzuwenden.“
Perspektivisch völlig falsche Fotomontage?
Am meisten interessiert uns natürlich, was dran ist an der Aussage, wir würden eine „perspektivisch völlig falsche Fotomontage“ verbreiten. Wir haben unsere Arbeit zu Beginn der kommunalen Diskussionen um den Windpark mit dem Ziel erstellt, die Größendimension der geplanten Anlagen in Bezug auf die sichtbare Wohnbebauung anschaulich zu machen. Bewusst haben wir statt einer realistische Darstellung der Protagonisten Windkraftmodelle eingebaut, denen man die Künstlichkeit ansieht – die Räder sind ja (noch) keine Realität. Diese eher schematische Darstellung ist bei Bauprojekten nicht unüblich, siehe unten die kommunale Visualisierung der geplanten Schlossbergbebauung. Die exakten Standorte im Gebiet BB-14 waren (und sind heute noch) unbekannt. Wir nahmen uns die Freiheit, ein potentielles Layout zu entwickeln, welches die technisch notwendigen Abstände der Anlagen untereinander berücksichtigt. Ein entsprechendes, aber anderes Layout hat sich auch Endura für ihre Visualisierung überlegt. Diese Unterschiede sind nicht relevant. Uns war primär wichtig, die Größenverhältnisse in Relation zu den gesehenen Höhen der Diezenhalder Bebauung aufzuzeigen. Einen Vergleich der beiden vorliegenden Arbeiten in diesem Punkt wollen wir hier gerne durchführen.
Dazu unterstellen wir der Endura-Visualisierung, trotz der oben gelisteten Schwächen, dass sie wenigstens im Punkt der Größendarstellung korrekt ausgeführt wurde. Wir haben aus dem obigen Standfoto des Videos einen Bildausschnitt gewählt, der unserer Darstellung entspricht und mit den Mitteln der digitalen Bildbearbeitung versucht, das Foto möglichst zu entnebeln. Ergänzend haben wir unser Foto der farblichen Anmutung der Endura-Visualisierung angenähert. Das Ergebnis sehen Sie hier:
Auffällig ist, dass die Endura-Windtürme in der Breite zierlicher geschnitten sind als unsere vom Dunst unberührten Platzhalter. In der Größe, sowohl der Masthöhe als auch der Flügellänge und der Gesamthöhe, nehmen sich die beiden Repräsentationen aber nichts. Wer genau hinschaut, erkennt auf unserer Darstellung im dritten Windrad von rechts eine etwas größere Figur. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass wir damals noch von einem 800 m-Mindestabstand zur Wohnbebauung ausgingen, der später auf 900 m erhöht wurde. In unserer Version auf der Seite „Licht & Luft“ haben wir das angepasst.
Fazit für uns: Der Vorwurf der weit überzogenen Größendarstellung hat keine belastbare Grundlage. 285 Meter hohe Windtürme bleiben riesig, auch wenn ihre Darstellung mittels Herbstdunst und Vordergrundidylle verniedlicht wird.
Betrachten Sie auch die anderen vorgelegten Videos. Die Visualisierung vom Standort Diezenhalde Kindertagesstätte gibt Ihnen vielleicht einen Eindruck, wie es von Ihrer Terrasse aus aussehen könnte.
Zu guter Letzt
Einen Vorschlag an die Stadtverwaltung hätten wir noch: Für gutes Geld kann man auch gute Arbeit verlangen. Wie wäre es, wenn man der Firma Endura kommunal Gelegenheit gibt, die technischen Schwächen ihrer Windkraftvisualisierungen in einem zweiten Versuch auszubügeln?